Bericht von der Budapest Pride aus informatischer Perspektive

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… am von ihnen gesponserten “Yeah, we’re open!”-Truck

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Google & Prezi Logos …

Letztes Wochenende, genauer gesagt am 6. Juli 2013, hat die Budapest Pride stattgefunden – grob heruntergebrochen in etwa das was die Regenbogenparade in Wien ist / mal war / sein sollte / … Ein gravierender Unterschied zur Wiener Regenbogenparade ist aber, dass die Budapest Pride seit Jahren von Faschist*innen, Nazis und anderen Rechtsextremen angegriffen, teils verunmöglicht wird. Schon bei der Anreise kommt uns eine beängstigende Gruppe der Neuen Ungarischen Garde entgegen, dem paramilitärischen Arm der rechtsextremen Partei Jobbik. Daher wird die Budapest Pride seit ein paar Jahren auch durch die Polizei komplett abgeriegelt von der Öffentlichkeit. Um so erstaunlicher wie groß (~10.000 Personen) die Pride dann war und wer alles da war…

Mit dabei war nämlich auch ein ganzer Lastwagen unter dem Motto “Yeah, we’re open!” voll mit LED-Wänden und Special Effects – gesponstert von Google, Prezi und einer weiteren Firma, die nicht direkt im IT-Bereich angesiedelt ist. Da und dort konnte mensch auch Leute in Google- oder Prezi-T-Shirts herumlaufen sehen. Bei Prezi warens so viele, dass sie fast einen eigenen kleinen Demoblock bilden konnten. Spannend daran sind zumindest 2 Punkte:

  • Im Gegensatz zur Wiener Regenbogenparade ist die Budapest Pride großteils (noch?) nicht kommerzialisert, es fühlt sich alles wie eine “richtige Demo” an. Umsomehr fällt es dann auf wenn doch irgendwelche Unternehmen als solche präsent sind. Und noch erstaunlicher ists, wenn das dann so IT-Unternehmen wie Google und Prezi sind und nicht irgendwelche Party-Lokalitäten oder Queere-Lifestyle-Schuppen. Insbesondere der Slogan “Yeah, we’re open” passt ja inhaltlich und teils technisch auch zu Google und Prezi. Im Grunde nur konsequent, wenn sie da auch personell nachziehen. Außerdem wird hier aber auch nach klarer Marktlogik erkannt, dass eine Diversifizierung des Personals auch Innovationspotential in sich birgt. Dafür kann dann auch mal politisch ein Zeichen gesetzt werden.
  • Verwunderlich oder gerade eben nicht: Google pflegt hier ein offenes und “diversity friendly” Image, das an anderer Stelle immer wieder bröckelt. So lässt Google in dessen App Store sogenannte ‘gay cure’ Apps zu, die vermeintlich helfen sollen Homosexualität zu “heilen”. Bereits seit längerem gibt es Kampagnen dagegen, unter anderem von allout.org [1], aber Google (genauso wie Apple im Übrigen auch) stellt bislang auf stur, was beim Anblick des Google-Trucks auf der Budapest Pride besonders bitter aufstößt. Tja, hier könnte vielleicht auch wieder der alte Spruch applikabel sein: “Wer völlig offen ist, ist nicht ganz dicht!” Wer Menschen nicht ausschließt, die anderen ihre Daseinsberechtigung (so wie sie sind) absprechen, produziert automatisch Ausschlüsse gerade gegenüber jenen, die ohnehin von gesellschaftlicher Repression betroffen sind. Ist das im Fall von Google halt noch recht einfach auf eine Marktlogik zurückzuführen (was es auch nicht besser macht) ist das im Fall von Free/Libre & Open Source Software und den ganzen innovativen Hacker- & Maker-Communities (ja, die sind nach wie vor fast ausschließlich männlich geprägt) leider tatsächlich auf die Verweigerung privilegierter Menschen zurückzuführen, sich mit ihren eigenen Privilegien und den Machtstrukturen in unseren Communities auseinanderzusetzen.
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Nicht völlig abgeschirmt – ein paar (pro)queere Anwohner*innen jubeln der Demo zu

Da das hier aber nur mal zum ersten Nachdenken anregen soll und es ja um nen Bericht von der Budapest Pride ging belassen wir es erstmal dabei. Ein spannender Artikel der zum einen nochmal das Thema Offenheit in technisch interessierten Communities, insbesondere Hacker*innenkreisen weiterführt und auch Ausblick auf mögliche integrative Strategien gibt wurde diesen April von Sophie Toupin veröffentlicht [2]. Aber auch in unserem Blog gabs dazu in verschiedenen Varianten schon mal was zu lesen [3] [4] [5].

Für die Informatik in Wien bleiben also auch weiterhin kritische, (pro-)feministische Räume zu fordern, sowohl materiell im Sinne von Ressourcen die zur Verfügung gestellt werden, als auch inhaltlich im Sinne von (Lehr)Veranstaltungen und Informatik-Curricula/-Lehrpläne, die auch derartige gesellschaftliche Verhältnisse in den Blick nehmen. Wie diesbezüglich die Situation in Ungarn selbst aussieht wär auch noch ein spannendes Thema das zu ergründen wäre.

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Wo letztes Jahr die Demo wegen Faschos umdrehen musste wurden heuer unzählige Luftballone mit Botschaften losgelassen.

Um den Artikel abzurunden bleibt zur Budapest Pride selbst dann nur noch festzuhalten dass diese eigentlich ganz angenehm entspannt und ohne gröbere Zwischenfälle verlief. Allerdings wurden bereits mehrere Attacken durch Nazis und Faschist*innen auf Pride-Besucher*innen gemeldet, abseits der Demo oder am Weg von oder zur Pride. Selbst die Intergroup on LGBT Rights des Europäischen Parlaments bestätigt hier gravierende Mängel, wenn auch alles in allem recht schöngefärbt [6]. So kann die Tatsache, dass die ganze Parade großflächig von der Außenwelt abgeriegelt wurde durchaus auch anders gelesen werden als nur “Die Polizei wollte halt die Paradenteilnehmer*innen” schützen. Klar war das eine ihrer Aufgaben, aber einer konservativen, rechten Regierung ist es sicherlich auch recht, wenn hier keine großen Wellen geschlagen werden. Und das spektakuläre Polizeigeleit bis zur Stadtgrenze, nachdem wir bei der Abschlusskundgebung wieder in unseren Bus [7] gestiegen sind könnte – ebenso wie das Winken eines der vorbeifahrenden Polizist*innen – genauso als freundlicher Rauswurf von uns perversen Ganov*innen gedeutet werden. Ausführlichere Informationen, vor allem über die historische Entwicklung der Budapest Pride sind auch auf der englischen Wikipedia zu finden [8].

Links:
[1] http://www.allout.org/gaycureapp
[2] http://dpi.studioxx.org/en/feminist-hackerspaces-safer-spaces
[3] https://blog.diebin.at/999/sexism-on-the-web-and-in-hacker-spaces-revisited
[4] https://blog.diebin.at/938/sexism-on-the-web-and-in-hacker-spaces
[5] https://blog.diebin.at/867/no-we-are-not-post-gender
[6] http://www.lgbt-ep.eu/news-stories/budapest-pride-peaceful-overall-but-right-wing-blows-insults/
[7] http://supportbudapestpride.blogsport.at/
[8] https://en.wikipedia.org/wiki/Budapest_Pride

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One comment on “Bericht von der Budapest Pride aus informatischer Perspektive
  1. Andyka says:

    Danke für den Erfahrungsbericht und die Photos.

    Zum Thema Offenheit und Ausschluss:

    “Tja, hier könnte vielleicht auch wieder der alte Spruch applikabel sein: ‘Wer völlig offen ist, ist nicht ganz dicht!’ Wer Menschen nicht ausschließt, die anderen ihre Daseinsberechtigung (so wie sie sind) absprechen, produziert automatisch Ausschlüsse gerade gegenüber jenen, die ohnehin von gesellschaftlicher Repression betroffen sind.”

    Für mich geht es weniger um den Ausschluss von Menschen als um den Ausschluss oder die Umwendung von Praxen und Positionen, die dazu führen, dass jemanden seine/ihre Existenzberechtigung abgesprochen wird. Wobei Existenzberechtigung schon fast nach einem juristischen Wort klingt, als ob man für die Existenz eine Bererchtigung bräuchte… einen Pass oder sowas.

    Worum es geht ist: Menschen können sich ändern z.B. durch Auseinandersetzungen. Ich muss nicht jede Person nehmen, wie sie ist, mit ihren verqueren Einstellungen zum Leben und zur Welt, nur wegen einer friedlichen Koexistenz. Sie sofort auszuschließen ist in manchen Fällen zu einfach, in anderen ein sinnvoller Selbstschutz.

    Damit will ich nicht sagen, dass Google oder Facebook in ihrem AppStore zur Auseinandersetzung beitragen. Durch Offenheit wird sehr vieles von den Prozessen sichtbar, die üblicherweise nur in geschlossenen Stammtischzirkeln oder in häuslichen Umgebungen stattfinden. Manchmal will man das gar nicht sehen (wie so manche Kommentare oder Postings auf Facebook), anderes regt zum Nachdenken und zum Widerstand an.

    Man darf sich – so wie im Beitrag ausgeführt – wenig Illusionen über die Motivation für Offenheit bei großen Cloud-Anbietern (Google, Facebook, aber auch MegaUpload/Mega.co.cz) machen, sie bieten allen Inhalten eine Plattform, insofern sie den Umsatz erhöhen und das Image nicht wesentlich schädigen.

    Siehe dazu auch die Diskussion rund um Gruppen, die “rape jokes” verbreiten: http://valleywag.gawker.com/facebook-didnt-actually-ban-rape-jokes-510279861

    Siehe auf der anderen Seite jedoch eine provokante Position des Philosophen Slavoj Zizek:
    “How should we fight racism: With progressive racism”
    https://www.youtube.com/watch?v=p4YJAs6Cv9I

    Nach Zizek muss man rassistische Praxen nicht nur ins Leere laufen lassen, sondern noch besser: In Solidarität umwandeln (weit davon entfernt, die moralisch empörten zu spielen).

    Das gefällt mir an Filmen wie “Parada” oder “Laurence Anyway”: Sie nehmen die Perspektive der teils homo/transphoben jedoch in seltenen Umständen lernfähigen “Mehrheitsgesellschaft” mit herein um sie zu transformieren. Und: um die Utopien von Andersheiten auf den Boden zu bringen.

    Hier die Trailer:

    Parada:
    https://www.youtube.com/watch?v=8GQmIRQBdLg

    Laurence Anyways:
    https://www.youtube.com/watch?v=x0dEDnm15Qs

    Das könnte die Aufgabe der /bin für die Informatik an der Uni Wien sein, mit Beiträgen wie dem Obigen.